Unsere Gesellschaft ist vor dem Hintergrund der Globalisierung geprägt durch eine große kulturelle Vielfalt, die es erfolgreich zu navigieren gilt, um im Arbeitsalltag die Verständigung zwischen verschiedenen Akteur*innen zu fördern (Genkova & Riecken, 2020; Guillén-Yparrea & Ramírez-Montoya, 2023). Als zentraler Ansatzpunkt stellt sich hier die Entwicklung interkultureller Kompetenzen dar, welche in verschiedenen Formaten der Aus-, Fort- und Weiterbildung in Unternehmen adressiert wird. Insbesondere haben sich interkulturelle Trainings als integraler Bestandteil einer kultur-sensitiven Personalentwicklungspraxis etabliert (Genkova, 2019). Klassischerweise werden in diesem Kontext die Teilnehmenden in einem physischen Raum zusammengebracht, um ihre interkulturelle Kompetenz gemeinsam weiterzuentwickeln. Gleichzeitig erfordert eine zunehmend technologisierte, vernetzte Arbeitswelt, in der Menschen über mehrere Standorte und den ganzen Globus verteilt digital in interkulturellen Teams zusammenarbeiten, im Rahmen der Personalentwicklung 4.0 ein Umdenken in der Ausgestaltung interkultureller Trainings. Die Personalentwicklung 4.0 setzt dabei auf eine starke Individualisierung von Lernprozessen, die eine stärkere Verknüpfung zwischen dem Lernsetting und Anwendungskontext herstellen (Sammet & Wolf, 2019). Vor diesem Hintergrund wird der Einsatz digital unterstützter Lernformen, wie Online-Trainings, E-Learning oder Blended Learning, digitale Trainingsformate zunehmend populärer (vgl. Sammet & Wolf, 2019).
Chancen digitaler interkultureller Trainings
Denn digitale interkulturelle Trainings eröffnen viele Chancen: Für Teilnehmende bieten sie mehr zeitliche und räumliche Flexibilität, sodass der Lernprozess stärker mit dem Arbeitsalltag verknüpft werden kann, was wiederum den Lerntransfer erhöht (Blume et al., 2010). Darüber hinaus begünstigen digitale Lernformate eine stärkere Anpassung des Lernprozesses an die eigenen Bedürfnisse der Teilnehmenden sowie eine bedarfsorientierte Vertiefung. Weiterhin machen digitale Trainings das Lernen in interkulturellen Gruppen durch den Wegfall von Reiseaufwand unkomplizierter möglich, sodass interkulturelle Situationen nicht nur simuliert werden (Bolten, 2006). Auch für Organisationen bieten digitale Formate viele Vorteile wie beispielsweise die stärkere Verknüpfung zwischen Arbeitsplatz und Lernprozess, den erhöhten Wissensaustausch zwischen Mitarbeitenden an verschiedenen Standorten und kosteneffizientere Lösungen. Schließlich schafft der digitale Kontext die Möglichkeit, effektive und flexible digitale Werkzeuge zur Förderung interkultureller Kompetenz einzusetzen, um so die Perspektivenvielfalt und Chancengerechtigkeit in der Gesellschaft zu erhöhen.
Herausforderungen des digitalen Kontexts für interkulturelle Trainings
Allerdings zeigt sich, insbesondere auch vor dem Hintergrund der Erfahrungen aus den letzten Jahren, dass interkulturelles Lernen im virtuellen Kontext einige Herausforderungen mit sich bringt (z.B. Bumann & Willig, 2020). Hier lässt sich beispielsweise die eingeschränkte persönliche Interaktion in Videokonferenzen nennen, die einem Miteinander im physischen Raum nicht gleichkommt. Es fehlt der informelle Austausch zwischendurch, die – gerade im interkulturellen Kontext wichtige – Körpersprache der anderen Teilnehmenden kann nur bis zu einem gewissen Grad gesehen und verstanden werden und es kommt in reinen Online-Kontexten leicht das Gefühl auf, von der Gruppe isoliert zu sein.
Darüber hinaus kann es sehr ermüdend sein, in einem interkulturellen Online-Training über einen längeren Zeitraum medial vermittelt zu lernen. Eine erfolgreiche Förderung der Motivation sowie Interaktion der Teilnehmenden stellt im Online-Setting somit eine erste zentrale Herausforderung für interkulturelle Trainings dar.
Weiterhin sind die technischen Voraussetzungen wichtig für den Erfolg eines interkulturellen Online-Trainings, und zwar sowohl auf Trainer*innen-, als auch auf Teilnehmendenseite. Neben einer stabilen Internetverbindung und dem notwendigen technischen Equipment, müssen die Trainer*innen die Teilnehmenden aus technischer Perspektive zur Teilnahme am Training befähigen. Auch sind Teilnehmende im Online-Setting schneller abgelenkt, checken E-Mails oder browsen im Internet. Die technische Befähigung und Aufmerksamkeitssteuerung stellen also eine weitere zentrale Herausforderung dar.
Herausforderungen für die methodische und didaktische Umsetzung digitaler interkultureller Trainings
Schließlich ergeben sich daraus spezielle Herausforderungen für die methodische und didaktische Umsetzung interkultureller Trainings. Nicht alle Lerninhalte können gleich gut durch digitale Lernformate und -settings vermittelt werden. Methoden, die sich in interkulturellen Präsenztrainings bewährt haben, funktionieren im Online-Kontext ggf. nicht mehr. Auch die didaktischen Anforderungen an ein Online-Training oder Blended-Learning-Format, als Kombination verschiedener digitaler und Präsenzlernformate, sind deutlich von klassischen Präsenztrainings zu unterscheiden. So müssen Teilnehmende beispielsweise an anderen Stellen im Lernprozess unterstützt und der Lernprozess stärker individualisiert werden.
Deshalb stellt sich die Frage: Wie können digitale interkulturelle Trainings die Chancen dieses Lernsettings nutzen, den damit assoziierten Herausforderungen adäquat begegnen und Lösungen schaffen, die die Teilnehmenden in ihrem interkulturellen Lernprozess bestmöglich unterstützen?
Hier bieten sich insbesondere drei Ansatzpunkte an:
Bedürfnisse der Teilnehmenden: Im Sinne einer insgesamt stärkeren Fokussierung individueller Lernprozesse im Rahmen der Personalentwicklung 4.0 (Sammet & Wolf, 2019), gilt auch für die Gestaltung digital unterstützter interkultureller Trainings, dass die Bedürfnisse der Teilnehmenden bzgl. technischer Fähigkeiten, Aufmerksamkeitssteuerung und Motivation eine zentrale Rolle für den Trainingserfolg spielen. Hier können Trainer*innen bereits in der Auftragsklärung Informationen über die technische Versiertheit und die Rahmenbedingungen der Trainingsteilnahme einholen, um Befähigungsangebote und Trainingsrahmenbedingungen optimal auf die Bedürfnisse der Teilnehmenden anzupassen. Die Aufmerksamkeitssteuerung und Motivation der Teilnehmenden können weiterhin durch viele interaktive Momente im Training, sowie die Schaffung von Möglichkeiten zum gemeinsamen Austausch mit anderen Teilnehmenden gestärkt werden. Zusätzlich sollten durch die Trainingsgestaltung im Verlauf des Trainings immer wieder zentrale motivationale Bedürfnisse der Teilnehmenden (vgl. Deci & Ryan, 1993) nach Kompetenzerleben, Autonomie im Lernprozess und Eingebundenheit in der Gruppe adressiert werden.
Didaktische Gestaltung: Dies hat auch Auswirkungen auf eine optimale didaktische Gestaltung. So sollte eine dezidierte Betrachtung der Lernziele und die Auswahl von zur Vermittlung geeigneter Lernsettings unbedingt von Beginn an bedacht werden. Hier gibt es viele Möglichkeiten durch digitale Lernressourcen den Lerntransfer in den Alltag zu stärken, die Lerninhalte stärker zu individualisieren, die Teilnehmenden auch außerhalb eines gemeinsamen Treffens im digitalen oder physischen Raum untereinander zu vernetzen und das informelle Lernen zu fördern sowie den Teilnehmenden einen größeren Handlungsspielraum und Verantwortung für den eigenen Lernprozess zu bieten. Durch diese vielen Möglichkeiten lassen sich die Teilnehmenden statt in einem traditionellen “One-Shot-Training” flexibel über einen längeren Zeitraum in ihrem Lernprozess begleiten und unterstützen, was die Entwicklung interkultureller Kompetenzen immanent stärkt. Wichtig ist hierbei eine verständliche und übersichtliche "Verkettung" (Lee, 2010) der einzelnen Lerninhalte und -formate, sodass die Teilnehmenden den Lernprozess nicht als fragmentiert wahrnehmen, sondern ihn ganzheitlich und integriert betrachten, reflektieren und durchlaufen können.
Methoden: Schließlich stehen interkulturelle Trainer*innen vor der Herausforderung, dass viele Methoden aus dem physischen Präsenzkontext nicht 1-1 in das Online-Setting übertragbar sind. Eine Übertragung und Anpassung der Methoden ist in vielen Fällen möglich, aber zeitintensiv und hat häufig auch Grenzen. Deshalb braucht es zum einen mehr Austausch zwischen interkulturellen Trainer*innen zu Best-Practices in der kreativen Anpassung von Methoden für interkulturelle Online-Trainings. Zum anderen gibt es aber auch Methoden, die speziell für den Online-Kontext entwickelt wurden und hier einen besonderen Mehrwert stiften können. Ein Beispiel für eine solche Übung ist im Praxiskasten dargestellt. Insgesamt ist es wichtig, dass Trainer*innen im Einsatz von Methoden konsequent den Rückbezug zu den Teilnehmendenbedürfnissen sowie der didaktischen Einbettung reflektieren.
Wie man diese Punkte in der Gestaltung digitaler interkultureller Trainings optimal berücksichtigen kann, wird im Buch der Autorinnen (Schumacher at al., 2023), das bei Hogrefe erscheint, Schritt für Schritt beschrieben (siehe unten). Durch die psychologisch fundierte und erfahrungsbasierte Anleitung sollen interkulturelle Trainer*innen zur erfolgreichen Gestaltung interkultureller Online-Trainings und Blended-Learning-Formate befähigt werden, um so die Vorteile digitaler Lernsettings optimal zu nutzen und ein flexibles, individualisiertes und ansprechendes Trainingserlebnis zu kreieren. Im Rahmen dieses Buches werden konkrete Hinweise und Tipps für die Planung, Durchführung und Evaluation solcher Trainingsformate gegeben sowie eine Vielzahl von Methoden für den Einsatz in Online- und Blended-Learning-Formaten beschrieben.
Literatur:
Blume, B. D., Ford, J. K., Baldwin, T. T., & Huang, J. L. (2010). Transfer of training: A meta-analytic review. Journal of management, 36(4), 1065-1105. doi.org/10.1177/0149206309352880
Bolten, J. (2006). Interkulturelles Lernen mit Multimedia gestalten. In A. Hohenstein & K. Wilbers (Hrsg.), Handbuch e-Learning Expertenwissen aus Wissenschaft und Praxis – Strategien, Instrumente, Fallstudien (H. 16., S. 1-17). Fachverlag Deutscher Wirtschaftsdienst.
Bumann, C., & Willing, M. (2020). Herausforderungen digitaler Trainings in einer unbeständigen Welt. Ansätze möglicher Strategien, um im Sturm der Veränderungen auf Kurs zu bleiben. Interculture journal: Online-Zeitschrift für interkulturelle Studien, 19(33), 67-75. www.interculture-journal.com/index.php/icj/article/view/397
Deci, E. L., & Ryan, R. M. (1993). Die Selbstbestimmungstheorie der Motivation und ihre Bedeutung für die Pädagogik. Zeitschrift für Pädagogik, 39(2), 223-238. doi.org/10.25656/01.11173
Genkova, P. (2019). Interkulturelle Personalentwicklung und Führung . In: Interkulturelle Wirtschaftspsychologie. Springer-Lehrbuch. Springer. doi.org/10.1007/978-3-662-58447-7_15
Genkova, P., & Riecken, A. (2020). Handbuch Migration und Erfolg. Springer Fachmedien Wiesbaden. doi. org/10.1007/978-3-658-18236-6.
Guillén-Yparrea, N., & Ramírez-Montoya, M. S. (2023). Are Intercultural Competencies the Key to International Collaboration?: A Systematic Review. In International conference on technological ecosystems for enhancing multiculturality, (pp. 772-781). Springer, Singapore.
Lee, J. (2010). Design of blended training for transfer into the workplace. British Journal of Educational Technology, 41(2), 181-198. doi.org/10.1111/j.1467-8535.2008.00909.x
Sammet, J., & Wolf, J. (2019). Vom Trainer zum agilen Lernbegleiter. Springer. doi.org/10.1007/978-3-662-58510-8_5
Schumacher, S., Kempen, R., Hollands, L., & Engel, A. M. (2023). Interkulturelle Trainings – digital: Online- und Blended-Learning-Formate erfolgreich gestalten. Hogrefe.
Autorinnen
Dr. Svenja Schumacher, geb. 1989. Seit 2014 als Wissenschaftliche Mitarbeiterin und aktuell als Postdoktorandin am Fachgebiet Arbeits- und Organisationspsychologie mit Schwerpunkt Interkulturelle Wirtschaftspsychologie der Universität Osnabrück beschäftigt. Zudem Leitung der Weiterbildung „Interkulturelle:r Trainer:in“ am Institut für Psychologie der Universität Osnabrück und freiberufliche Tätigkeit als Organisationsberaterin und Trainerin für interkulturelle Kompetenz und Zusammenarbeit.
Prof. Dr. Regina Kempen, geb. 1985. Seit 2021 Professorin für Arbeits-, Organisations- und Personalpsychologie an der Hochschule Aalen. Zudem freiberufliche Tätigkeit als Organisationsberaterin und Trainerin.
M.Sc. Lisa Hollands, geb. 1991. Seit 2017 Wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Universität Vechta. Zudem Dozentin in der Weiterbildung „Interkulturelle Trainer:in“ und freiberufliche Tätigkeit als Organisationsberaterin und Trainerin.
Dipl.-Psych. Anna Maria Engel, geb. 1986. Seit 2019 Wissenschaftliche Mitarbeiterin für Training, Beratung und Entwicklung am LearningCenter der Hochschule Osnabrück. Zudem Dozentin in der Weiterbildung „Interkulturelle Trainer:in“ und freiberufliche Tätigkeit als Organisationsberaterin und Trainerin.